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Structural Glazing: Innovative Glastechnologie für moderne Fassadenkonstruktionen

Structural Glazing: Innovative Glastechnologie für moderne Fassadenkonstruktionen

Die moderne Architektur ist geprägt von dem Streben nach maximaler Transparenz und minimalistischen Fassadenlösungen. Structural Glazing, auch als Structural Sealant Glazing (SSG) bezeichnet, hat sich dabei als eine der innovativsten Technologien im konstruktiven Glasbau etabliert. Diese Bauweise ermöglicht es, großflächige Glasfassaden zu realisieren, bei denen das Glas nicht nur als raumabschließendes Element fungiert, sondern aktiv strukturelle Lasten übernimmt und somit integraler Bestandteil der Gebäudekonstruktion wird.


Bei Structural Glazing handelt es sich um geklebte, lastabtragende Glaskonstruktionen, die durch den Einsatz hochleistungsfähiger Silikonklebstoffe eine dauerhafte und tragfähige Verbindung zwischen Glas und Tragstruktur schaffen. Das charakteristische Merkmal dieser Technologie liegt in der nahezu rahmenlosen Optik, bei der lediglich schmale Silikonfugen zwischen den Isolierglasscheiben sichtbar bleiben. Diese Bauweise eröffnet Architekten völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten und ermöglicht die Realisierung von Ganzglasfassaden mit bisher unerreichter Transparenz und Eleganz.


Technische Grundlagen und Funktionsweise

Definition und Abgrenzung

Structural Glazing bezeichnet eine Fassadentechnik, bei der Glaselemente mittels struktureller Verklebung direkt an das Tragwerk angeschlossen werden. Im Gegensatz zu konventionellen Vorhangfassaden, bei denen das Glas mechanisch in Rahmen eingespannt wird, übernimmt bei Structural Glazing der Silikonklebstoff die vollständige Lastübertragung zwischen Glas und Unterkonstruktion. Diese Technologie ermöglicht es, dass das Glas einen Teil der strukturellen Lasten des Gebäudes trägt und somit als tragendes Bauteil fungiert.


Die Bezeichnung “Strukturglas” wird dabei als übergeordneter Begriff für rahmenlose Glasanordnungen verwendet, bei denen das Glas strukturelle Funktionen übernimmt. Structural Glazing stellt eine spezifische Ausführungsform dar, die sich durch die ausschließliche Verwendung von Klebverbindungen zur Lastübertragung auszeichnet.


Klebstofftechnologie

Das Herzstück jeder Structural Glazing-Konstruktion bilden hochleistungsfähige Silikonklebstoffe, die speziell für die Anforderungen des konstruktiven Glasbaus entwickelt wurden. Diese Klebstoffe müssen eine Vielzahl anspruchsvoller Eigenschaften erfüllen: Sie müssen nicht nur die statischen und dynamischen Lasten sicher übertragen, sondern auch über Jahrzehnte hinweg ihre Eigenschaften unter extremen Witterungsbedingungen beibehalten.


Moderne Structural Glazing-Klebstoffe wie die Sikasil® SG-Serie oder UltraGlaze SSG4650 sind als ein- oder zweikomponentige Systeme verfügbar. Einkomponentige Klebstoffe härten durch Luftfeuchtigkeit aus und eignen sich besonders für kleinere Anwendungen, während zweikomponentige Systeme durch ihre kontrollierte Aushärtung auch bei großflächigen Verglasungen gleichmäßige Eigenschaften gewährleisten. Die Verarbeitung erfolgt typischerweise aus Dualkartuschen mit Statikmischern, was eine präzise Dosierung und homogene Vermischung der Komponenten sicherstellt.


Normative Grundlagen und Bemessung

Deutsche und europäische Normung

Die normative Grundlage für Structural Glazing in Deutschland bildet die DIN 18008-Reihe, die 2015 als umfassendes Regelwerk für die Bemessung und Konstruktion von Verglasungen eingeführt wurde. Diese Norm fasst die bis dahin gültigen Technischen Regeln und DIN-Normen in einem einheitlichen Regelwerk zusammen und schafft damit eine verlässliche Planungsgrundlage für Architekten und Ingenieure.


Ergänzend gelten die Normen DIN EN 13022-1:2014 und DIN EN 13022-2:2014-08, die spezifische Anforderungen für die Montage und Herstellung von Structural Glazing-Fassaden definieren. Auf europäischer Ebene wird derzeit der Eurocode 10 (Design of glass structures) entwickelt, der zukünftig eine harmonisierte Bemessungsgrundlage für den konstruktiven Glasbau schaffen soll.


Bemessungskonzept

Die Bemessung von Structural Glazing-Konstruktionen erfolgt nach dem Konzept der Grenzzustände, wobei zwischen Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit unterschieden wird. Der Leitfaden zur Glasbemessung nach DIN 18008 des Bundesverbands Flachglas bietet dabei praktische Hilfestellungen für die baupraktische Umsetzung.


Bei der Tragfähigkeitsbemessung müssen sowohl die Glasscheiben als auch die Klebverbindungen für alle auftretenden Lastfälle nachgewiesen werden. Dabei sind neben den statischen Lasten aus Eigengewicht und Winddruck auch dynamische Beanspruchungen aus Temperaturwechseln und Gebäudeschwingungen zu berücksichtigen. Die Gebrauchstauglichkeit umfasst Aspekte wie Durchbiegungsbegrenzungen und die Vermeidung von Spannungskonzentrationen, die zu vorzeitigen Schäden führen könnten.


Herstellungsverfahren und Qualitätssicherung

Fertigungsprozess

Die Herstellung von Structural Glazing-Elementen erfordert höchste Präzision und erfolgt typischerweise in klimatisierten Werkstätten unter kontrollierten Bedingungen. Der Fertigungsprozess beginnt mit der sorgfältigen Vorbereitung der Glasoberflächen, die vollständig gereinigt und entfettet werden müssen. Anschließend erfolgt die Applikation des Klebstoffs in gleichmäßigen Raupen, wobei die Schichtdicke und Geometrie exakt eingehalten werden müssen.


Die Aushärtung der Klebverbindung erfolgt je nach Klebstoffsystem bei Raumtemperatur oder unter kontrollierten Temperaturbedingungen. Während dieser Phase dürfen keine mechanischen Belastungen auf die Verbindung einwirken, um eine optimale Festigkeitsentwicklung zu gewährleisten. Nach vollständiger Aushärtung werden die Elemente einer umfassenden Qualitätskontrolle unterzogen.


Qualitätskontrolle und Prüfverfahren

Die Qualitätssicherung bei Structural Glazing-Konstruktionen umfasst sowohl werksseitige als auch baustellenseitige Prüfungen. In der Werkstatt werden Haftungsprüfungen an Probekörpern durchgeführt, um die ordnungsgemäße Verklebung zu verifizieren. Diese Prüfungen erfolgen sowohl an frischen als auch an künstlich gealterten Proben, um die Langzeitbeständigkeit der Verbindung zu bewerten.


Auf der Baustelle werden stichprobenartige Kontrollen der Klebstoffapplikation und der Elementmontage durchgeführt. Dabei kommen sowohl zerstörende als auch zerstörungsfreie Prüfverfahren zum Einsatz. Die Entwicklung standardisierter Prüfverfahren ist noch nicht vollständig abgeschlossen, weshalb viele Hersteller eigene Prüfprotokolle entwickelt haben.


Anwendungsbereiche und Einsatzgebiete

Hochhausfassaden

Structural Glazing hat sich besonders bei Hochhausfassaden als Standard etabliert, da diese Technologie optimale Transparenz bei gleichzeitig hoher struktureller Effizienz bietet. Die Möglichkeit, große Glasflächen ohne sichtbare Rahmen zu realisieren, ermöglicht es, beeindruckende architektonische Akzente zu setzen und gleichzeitig den Energieeintrag durch Tageslicht zu maximieren.


Moderne Hochhausprojekte nutzen zunehmend innovative Structural Glazing-Lösungen, die auch gebogene Geometrien und komplexe Fassadenformen ermöglichen. Unternehmen wie seele haben dabei Pionierarbeit geleistet und zeigen, dass auch anspruchsvollste architektonische Visionen technisch umsetzbar sind.


Sonderkonstruktionen

Neben klassischen Fassadenanwendungen findet Structural Glazing auch in Sonderkonstruktionen Anwendung. Dazu gehören Glasdächer, Wintergärten, Museumsverglasungen und repräsentative Eingangsbereiche. Ein herausragendes Beispiel ist die innovative Structural Glazing-Fassade des Jüdischen Museums Berlin, die besondere technische Anforderungen erfüllt und gleichzeitig höchste architektonische Ansprüche umsetzt.


Auch im Bereich der Gebäudesanierung eröffnet Structural Glazing neue Möglichkeiten. Die Technologie ermöglicht es, historische Gebäude mit modernen Glasfassaden zu ergänzen, ohne die ursprüngliche Architektur zu beeinträchtigen. Diese Verbindung von klassischer und moderner Ästhetik erfordert jedoch eine besonders sorgfältige Planung und Ausführung.


Aktuelle Entwicklungen und Innovationen

Technologische Fortschritte

Die Weiterentwicklung der Structural Glazing-Technologie konzentriert sich derzeit auf mehrere Schwerpunkte. Zum einen werden neue Klebstoffsysteme entwickelt, die noch höhere Festigkeiten und verbesserte Alterungsbeständigkeit aufweisen. Zum anderen stehen Verbesserungen der Verarbeitungstechniken im Fokus, um die Qualität und Wirtschaftlichkeit der Herstellung zu steigern.


Ein besonderer Fokus liegt auf der Entwicklung von Prüfverfahren für die künstliche Alterung, die eine zuverlässige Vorhersage der Langzeitbeständigkeit ermöglichen. Forschungsprojekte am KIT Stahl- und Leichtbau untersuchen systematisch das Trag- und Versagenverhalten von geklebten Stahl-Glas-Verbindungen und tragen damit zur Weiterentwicklung der Bemessungsgrundlagen bei.


Integration erneuerbarer Energien

Eine zunehmend wichtige Rolle spielt die Integration von Photovoltaik-Elementen in Structural Glazing-Fassaden. Diese BIPV-Systeme (Building Integrated Photovoltaics) ermöglichen es, Energiegewinnung und Fassadenfunktion zu kombinieren, ohne die ästhetischen Vorteile der Structural Glazing-Technologie zu beeinträchtigen. Dabei werden PV-Elemente unter Strukturglas platziert, wobei der logischen Anordnung besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.


Structural Glazing hat sich als eine der wichtigsten Innovationen im modernen Fassadenbau etabliert und ermöglicht architektonische Lösungen, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar waren. Die Technologie verbindet höchste ästhetische Ansprüche mit technischer Exzellenz und bietet Planern völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten.


Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Klebstofftechnologie, verbesserte Bemessungsverfahren und die Integration nachhaltiger Energiekonzepte werden die Bedeutung von Structural Glazing in der Zukunft weiter steigern. Gleichzeitig erfordern die hohen technischen Anforderungen eine sorgfältige Planung, qualifizierte Ausführung und regelmäßige Qualitätskontrollen.


Für Architekten, Planer und Bauherren bietet Structural Glazing die Möglichkeit, visionäre Gebäudekonzepte zu realisieren, die Transparenz, Energieeffizienz und architektonische Exzellenz in einzigartiger Weise verbinden. Die Investition in diese Technologie zahlt sich durch die außergewöhnliche Ästhetik, die Langlebigkeit der Konstruktion und die Möglichkeit zur Integration innovativer Gebäudetechnik langfristig aus.

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